Stand: Oktober 1996
Free Tibet Campaign
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Tibet Facts No. 4

Kontrolle über die Religion

"Wir müssen die Kenntnis der Mönche und Nonnen über Patriotismus und Gesetz vermehren. Der tibetische Buddhismus muß sich selbst reformieren... Er muß sich den Erfordernissen der Entwicklung und Stabilität Tibets anpassen... Religiöse Glaubensätze und Praktiken, die nicht Hand in Hand mit der sozialistischen Gesellschaft gehen, müssen abgeschafft werden" (A Golden Bridge Leading to a New Era, published by the Tibet Autonomous Region Party, 1994).

Chinesische Politik

Die chinesische Verfassung von 1982 besagt, daß die "Bürger der Volksrepublik China die Freiheit des Glaubens besitzen", aber fügt hinzu, daß nur "legitime religiöse Aktivitäten" gestattet seien. Die chinesische Politik im allgemeinen betrachtet die Religion als ein Hindernis für den Staat und die offizielle Ansicht und versucht, religiöse Aktivitäten niederzuhalten.

Die Periode der Mäßigung und eingeschränkten Toleranz von 1977 und 1986 endete abrupt mit dem Schlag der Sicherheitskräfte 1987 gegen die Demonstrationen der Mönche mehrerer großer Klöster. Seit 1994 wurden gewisse Neuerungen in der Kommunistischen Partei und der Verwaltung in Tibet eingeführt, um die religiöse Praxis in die von der chinesischen Führung gesetzten Grenzen zu verweisen.

Die chinesische Religionspolitik der vergangenen 46 Jahre in Tibet kann in sechs Perioden eingeteilt werden:

1950-59: Die Religion wurde prinzipiell von der Verfassung von 1954 gutgeheißen, aber religiöse Aktivitäten wurden streng von staatlichen Instanzen kontrolliert.

1959-66: China konsolidierte seinen Griff über Tibet. Klöster wurden als Rückgrat der tibetischen Gesellschaft ins Visier genommen. Um 1966, als die Kulturrevolution begann, waren bereits 80% der 2.700 Klöster Zentraltibets zerstört. Von den 115.600 Mönchen und Nonnen blieben nur noch 6.900 übrig (TAR Vice-Chairman Buchung Tsering, 1987).

1966-77: Während der Kulturrevolution waren alle religiösen Aktivitäten verboten, religiöse Institutionen wurden geschleift, heilige Schriften und Gegenstände zerstört, Mönche und Nonnen ins Gefängnis geworfen und gefoltert; viele kamen ums Leben. 1978 standen nur noch 8 Klöster, und in der TAR gab es offiziellen Angaben zufolge nur noch 970 Mönche und Nonnen.

1977-86: Einige religiöse Aktivitäten wurden ab 1977 wieder erlaubt. Der Panchen Lama, der 1961 gefangengesetzt wurde, weil er Mao Zedong seine Kritik der Parteipolitik in Tibet unterbreitet hatte, wurde 1978 aus der Haft entlassen, und 1979 wurde der Jokhang Tempel in Lhasa wieder eröffnet. Die Liberalisierungspolitik wurde 1980 von Hu Yaobang eingeleitet. Es wurden Mittel zum Wiederaufbau von Klöstern zugeteilt, und 1986 wurde zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder das Monlam Gebetsfest begangen. Die Tibeter zogen aus dieser Liberalisierung der 80er Jahre so viel Gewinn, wie sie nur konnten. Die Zeit von 1983 bis 1987 war von der schnellen Restauration der Klöster gekennzeichnet. Viele konnten ihre Größe ohne große staatliche Einmischung vermehren. Das Nonnenkloster Garu zum Beispiel wuchs von 20 Nonnen im Jahre 1985 auf 130 im Jahr 1987.

1987-1994: Die Demonstrationen von 1987 hatten ein hartes Durchgreifen gegen die hauptsächlichen Klöster zur Folge. Über 200 Mönche und Nonnen wurden zwischen Dezember 1989 und April 1990 aus ihren Klöstern um Lhasa ausgestoßen.

1994-1996: Bei dem Dritten Arbeitsforum zu Tibet, das 1994 stattfand, änderte China seine Religionspolitik dahingehend, daß jedes weitere religiöse Wachstum in Zukunft weitgehend unterdrückt und eingeschränkt werden sollte. Die bisherigen repressiven Maßnahmen hatten mehr auf eine Kontrolle und Regelung des religiösen Lebens als auf eine regelrechte Unterdrückung abgezielt (A Season to Purge: Religious Repression in Tibet, International Campaign for Tibet, 1996). Die drastischen Maßnahmen, die 1994 ergriffen wurden, weisen drei Aspekte auf:

  1. Eliminierung der politischen Opposition und der Mönche und Nonnen, welche mit der Unabhängigkeit sympathisieren.

  2. Diskreditierung des Dalai Lama als des religiösen und politischen Oberhaupts Tibets.

  3. Kontrolle der religiösen Institutionen hinsichtlich ihrer Tätigkeit und ihrer Größe (Cutting off the Serpent's Head: Tightening Control in Tibet 1994-1995, TIN & Human Rights Watch/Asia, 1996).

Administration der Klöster

  • Der Vorsteher eines jeden Klosters wird ebenso wie die Mönche von dem Amt für Religionsangelegenheiten, einer staatlichen Einrichtung, ernannt. Jedes größere Kloster hat einen Demokratischen Verwaltungsrat (Democratic Management Committee = DMC), der die höchste Autorität im Kloster bildet und alle seine Tätigkeiten überwacht. Die chinesischen Machthaber bestimmen die Kandidaten für das DMC, die dann von den Mönchen "gewählt" werden (Cutting off the Serpent's Head).

  • Die Arbeitsteams werden immer penetranter in den Klöstern. Sie bestehen aus Kadern, die zusammen mit dem DMC nach verdächtigen Dissidenten fahnden und gewaltsam Mönche und Nonnen "erziehen", wie sie sich "akzeptabel" zu benehmen und was sie in politischer Hinsicht zu denken haben (A Season to Purge). Jeder Mönch und jede Nonne müssen eine Erklärung über ihre absolute Loyalität gegenüber der Führung der Kommunistischen Partei und der Einheit des Mutterlandes abgeben (Cutting off the Serpent's Head). Sie dürfen nicht in "unpatriotische" Tätigkeiten verwickelt gewesen sein.

  • In einigen Klöstern wird die Finanzbuchhaltung von dem Amt für Religionsangelegenheiten kontrolliert, und dem Kloster gespendete Gelder müssen unmittelbar auf ein Bankkonto, das von dieser Behörde verwaltet wird, eingezahlt werden. Nach Zeugenberichten ist üblicherweise eine Erlaubnis nötig, wenn man einen Tempel oder auch nur eine Statue restaurieren will. Die einzigen Klöster, die staatliche Mittel zum Wiederaufbau bekommen, sind gewöhnlich die an den Touristenrouten gelegenen. Offizielle Quellen anerkennen, daß 90% der Klöster alleine aus privaten Mitteln und durch freiwillige Arbeit wiederaufgebaut wurden. China hat auch Schritte zur Reduzierung des freiwilligen Spendenaufkommens von Laien für die Klöster unternommen und die Mönche als "Parasiten" bezeichnet (A Season to Purge).

Andere Kontrollmaßnahmen:

  • Altersgrenzen für Novizen (ein Mindestalter von 18 Jahren) wurden eingeführt. Außerdem kann der Eintritt in ein Kloster anscheinend nach dem Gutdünken der lokalen Beamten eingeschränkt werden.

  • Die Renovierung und der Wiederaufbau von Klöstern muß von Regierungsbehörden genehmigt werden. Illegalen Wiederaufbau gab es zwar mancherorts, er ist aber verboten.

  • Es können Obergrenzen für die Zahl von Mönchen und Nonnen in den Klöstern auferlegt werden.

  • Eine Obergrenze für die Gesamtzahl an Klöstern: 1994 erklärte die chinesische Regierung, daß es nun genügend Klöster, Mönche und Nonnen gebe.

  • Behördliche Einmischung in die Wahl von monastischen und religiösen Oberhäuptern und in die Auffindung von neuen Inkarnationen.

  • Ausweisung von Mönchen und Nonnen aus ihren Institutionen wegen friedlicher Demonstrationen, Verteilen von Flugblättern oder dem Besitz von geächteten religiösen Texten. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis dürfen diese nicht mehr zu ihrem monastischen Leben zurückkehren.

  • Verbot von einigen buddhistischen Ritualen und Festen.

  • Restriktionen für die Bewegungsfreiheit von Mönchen außerhalb ihrer Klöster. Mönche und Nonnen dürfen keine Rituale in Privathäusern oder anderen Orten außerhalb des Klosters abhalten (Cutting off the Serpent's Head).

Propaganda zur Diskreditierung des Dalai Lama

Die Ausdrücke, mit denen die Chinesen den Dalai Lama beschimpfen, wurden in letzter Zeit immer gemeiner. Sie behaupten nun, daß der Dalai Lama kein religiöses Oberhaupt mehr sei, und in einigen Aussagen beschuldigten sie Seine Heiligkeit und dessen Vertreter im Exil, Bombenattentate und Unruhen angezettelt zu haben (TIN News Update, 30.5.1996). Der Besitz von Bildern des Dalai Lama ist nun eine Straftat. Jeder Kontakt zu religiösen Organisationen im Ausland ist verboten, was die Kommunikation mit Dharamsala gesetzwidrig macht. Die Verehrung Dalai Lama wird als separatistische Aktivität ausgelegt.

Besuch des UN Berichterstatters für religiöse Intoleranz

Im November 1994 hinderte die Polizei in Lhasa Mönche daran, zu dem auf Besuch weilenden Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Religiöse Intoleranz Zugang zu bekommen (TIN News Update, 2.1.1995). Die Chinesen führten den Berichterstatter hinters Licht, indem sie behaupteten, daß Parteiangehörige Religion ausüben dürften und daß China keine Regeln kenne, die Tibetern unter 18 Jahren den Eintritt in ein Kloster verbiete (A Season to Purge).

Religion außerhalb der Klöster 

In der Vergangenheit durften Parteikader inoffiziell ihren Glauben bekennen und privat Religion ausüben, aber jetzt werden sie genau überwacht und im Falle von Entdeckung bestraft oder degradiert (A Season to Purge). Religiös Praktizierende können nicht Parteimitglieder sein, was wiederum ihren Zugang zu Wohnungen und Arbeitsplätzen, sowie ihren politischen Einfluß beeinträchtigt. Religiöser Unterricht wurde aus den Schulen verbannt (Cutting off the Serpent's Head).

Die Suche nach dem 11. Panchen Lama

Die von China geförderte Suche nach der Reinkarnation des Panchen Lama begann sogleich nach dem Tod des 10. Panchen Lama 1991. Offizielle chinesische Quellen besagen, daß anfänglich eine ziemliche Koordination zwischen dem offiziellen Suchteam und Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama herrschte, obwohl nach Angabe der Tibetischen Exilregierung die wiederholten Bitten Seiner Heiligkeit, bei der offiziellen Suche zu helfen und daran teilzunehmen zu dürfen, zurückgewiesen wurden. Traditionsgemäß muß die Reinkarnation des Panchen Lama vom Dalai Lama bestätigt werden.

Im Mai 1995 verkündete Seine Heiligkeit seine Anerkennung des sechs Jahre alten Gedhun Choekyi Nyima als die Wiedergeburt. Der Knabe und seine Familie wurden daraufhin in Gewahrsam genommen, und Chadrel Rinpoche, der Abt des Klosters Tashilhunpo (dem Sitz des Panchen Lama), sowie etwa 40 weitere Mönche wurden verhaftet, weil sie sich zugunsten der Anerkennung des Kindes geäußert hatten. Im November 1995 erklärten die Chinesen, daß sie Gedhun Choekyi Nyima ablehnen und in einer pseudo-religiösen Zeremonie ihren eigenen Kandidaten ausgewählt haben.

Diese Kontrolle über den Prozeß zur Auffindung des Panchen Lama kann als Teil einer auf weitere Sicht angelegten Politik, tibetische religiöse Führer in Zukunft selbst auszuwählen, interpretiert werden. Sie dient auch der Bekräftigung des Anspruches, daß tibetische religiöse Oberhäupter traditionsgemäß vom chinesischen Staat ernannt werden. Tatsächlich ist dies aber das erste Mal, daß eine chinesische Regierung die Kontrolle über den Anerkennungsprozeß der Reinkarnation eines tibetischen Lama komplett an sich gerissen hat. Der Panchen Lama ist einer der höchsten Lamas nach dem Dalai Lama und spielt traditionsgemäß bei der Anerkennung der Wiedergeburt des Dalai Lama eine wichtige Rolle.